Das Buch Geburtstag. Oder: Happy Birthday heißt, du bist Luft für mich!

Ob man Facebook jetzt mag oder vertraut oder auch nicht, einen sehr praktischen Nutzen hat das blaue Moloch in jedem Fall: Es macht den alten Geburtstagskalender an der Tür unnütz.

Ohne Facebook wüsste ich nicht nur nicht, wann meine Freunde Geburtstag haben, bei den meisten wüsste ich gar nicht, dass sie überhaupt meine Freunde sind.

Gratulieren in den Zeiten von Facebook heißt auch, die SMS ist der Ritterschlag der Freundschaft. Wenn ich neun Cent darbringe, um Euch zum Geburtstag zu gratulieren, müssen wir entweder Freunde vom Kaliber Hill/Spencer sein oder das gleiche Geblüt durch unsere noblen Adern fließen.

Wenn ich Euch sogar anrufe, ist das ein Beweis des heißesten Bandes, das es zwischen zwei Menschen geben kann (oder ich hab grad keine Hand frei zum Tippen).

Gratuliere ich nur auf Facebook, so bedeutet dies zumindest, dass Euer Geburtstag von mäßigem Interesse für mich ist. Manchmal füge ich eine persönliche Message mit einer Referenz zu den Jahren unserer gemeinsamen Zeit ein, manchmal den Link zu einem Song, der mich spontan an Euch denken lässt, und manchmal schreie ich zumindest Euren Namen. Just in jenem Duktus der Freundschaft oder Kumpelhaftigkeit, in dem man sich nach langer Abstinenz eben begrüßt. Und hinterher wünsche ich alles Gute mit dem Enthusiasmus von drei Ausrufezeichen.

Manchmal jedoch schreibe ich auch nur Happy Birthday. Und ein Ausrufezeichen. EIN Ausrufezeichen. Mach Euch keine Sorgen, wenn Ihr mein Happy Birthday! in Eurer Chronik findet, das heißt nur, ihr seid Luft für mich. Euer Geburtstag interessiert mich ebenso wenig wie eure Geburt oder die Folge – eure Existenz.

Es ist mir ein Rätsel, warum wir vernetzt sind. Es ist mir ein Rätsel, warum ich Euch noch nicht entfreundet habe, auf Facebook wie auch im echten Leben. Die Mühe, die ich in das Happy Birthday! stecke ist das Minimum an menschlichem Mitgefühl, das ich für irgendjemanden aufzubringen bereit bin. Schreibe ich Happy Birthday!, so würde ich eher einen von der Räude zerfressenen Hund vor dem Ertrinken retten als Euch – und ich würde den Hund hernach ins Tierheim bringen, wo er nach drei Tagen Exitus-Käfig eingeschläfert würde. Mein Happy Birthday! ist der Todeskuss der Mafia. Mein Happy Birthday! ist das bleierne Siegel auf dem Sarg einer Nichtfreundschaft, die niemals hätte sein sollen. Schreibe ich Happy Birthday!, so fülle ich Eure Candy Crush-Welt in euren schlimmsten Albträumen mit klebrigem Karamell (oder was auch immer Euer Fortkommen dort verhindern möge) auf, so schleiche ich mich nachts in Euer Farmville, vergehe mich an Euren digitalen Schafen, von denen Androiden träumen, und brenne Euer Gehöft nieder. Lachend. Schreibe ich Happy Birthday!, so like ich die Seiten, die Ihr mir vorschlagt, nur um sie kurz darauf stumm zu schalten. Schreibe ich Happy Birthday!, so habe ich vermutlich nicht einmal Eure Telefonnummer in meinem Telefon gespeichert. Und ich kann unbegrenzt viele Einträge speichern. Selbst wenn die Nummer gespeichert ist, dann nicht unter Eurem Namen, sondern unter dem Vermerk NICHT RANGEHEN!, damit ich nicht einmal aus Einsamkeit oder Neugier auf die Idee käme, mit Euch zu sprechen. Schreibe ich Happy Birthday!, so würde ich Euch nicht einmal auf Google+ in meine Kreise aufnehmen, selbst wenn Ihr die Einzigen wäret, die etwas Interessantes (oder überhaupt etwas) dort posteten. Mein Happy Birthday!  ist kalt wie der Atem der White Walker (ja, ich warte auch wie ein Nerd auf die nächste Staffel), die Ignoranz meines Glückwunschs glüht mit der Intensität von geschmolzenem Vibranium (ja, ich warte auch wie ein Nerd auf den zweiten Teil), dies ist der Preis, den Ihr für Eure Eitelkeit zahlen müsst!

Bedenkt, Euer Geburtstag steht nur auf Facebook als Prüfsiegel Eurer Eitelkeit! Ihr sammelt die Gratulationen wie eine Animierdame am Hafen das Trinkgeld, auf die billigste Art und Weise. Das ist passiv geburtstägliches Verhalten wie aus dem Lehrbuch! Wollt Ihr wirklich zeigen, dass Ihr über allem steht? So entfernet Euren Geburtstag von Facebook und schaut, wer noch dran denkt. So soll es geschehen!

In diesem Sinne! Happy Birthday!

Veröffentlicht am Januar 26, 2015 in Kampfeinträge und mit , , , , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 8 Kommentare.

  1. Wie wunderbar! Das ist ja, als hättest du mich nach meinen Gedanken zum Facebook-Gratulieren gefragt :-).

    Du sprichst mir voll und ganz aus dem Herzen. Die wirklich guten Freunde und netten Verwandten bekommen eine Gratulation auf Festnetz (falls vorhanden – hat ja nicht mehr jeder), 2. Rang ist der Anruf auf Handy, 3. Rang die SMS (die bei Leuten mit SMS-Flatrate ja nix mehr extra kostet), dann kommt lange nichts, und dann die Facebook-Gratulation.
    Ja, ich habe es mir vor kurzem auch geleistet, ein FB-„Happy Birthday“… Als Frau darf man sogar noch „und alles Liebe“ dazuschreiben, und es bleibt trotzdem ein „du gehst mir am Allerwertesten vorbei“.

    Aber, hey, das war eine Person, die seit Jahren nicht mehr zum Geburtstag einlädt, sondern nach dem Motto „wer kommt, der kommt“ mit Getränken und Knabbereien zu Hause sitzt und wartet, wer kommt (ich gehe prinzipiell nie zu „wer kommt, der kommt“-Geburtstagen, denn für ein „wäre schön, wenn du kämst“ sollte die Freundschaft schon reichen). Und die Person erscheint gern zu Parties etwas später, um dann nach einer Stunde („ich hab noch woanders zugesagt“) wieder zu verschwinden.

    Und JETZT konnte ich ihr, DANK FACEBOOK, ein Super-Revanche-Happy-Birthday in die Chronik schreiben! Und zwar ohne „liebe Grüße“ und ohne ein Geburtstagsbildchen mitzuposten!

  2. Sehr schön beschrieben. Dreihundert geklonte „Happy Birthday!“-Posts inkl. dem mitgelieferten Zwang, jeden Einzelnen mit einem Like-Däumchen zu belohnen, eine zugemüllte Timeline und die Gewissheit, dass ohne FB kein Aas wüsste, wann man Geburtstag hat. Ich habe schon Profile gesehen, die seit Ewigkeiten verweist sind, aber immer noch pünktlich zum Geburtstag des wahrscheinlich längst verblichenen Inhabers mit diesem Spam überzogen werden. *poke!*, *frechgrinzzz!*, *Däumchenhoch* und alles Liebe!

  3. Mein persönlicher Tipp dazu: Auf Facebook ein falsches Geburtsdatum eintragen und dann mal sehen welcher „Freund“ das echte kennt.

  4. Happy Birthday!

  5. Ich werd jetzt immer zusätzlich zum „Happy Birthday!“ den Link zu Deinem Artikel mitschicken. Kann jetzt schon kaum die nächsten Geburtstage abwarten…

  6. Eine Bekannte hat mal im Büro eine Geburtstagstorte bekommen und als sie die auspackte, stand auf der Torte: „Danke für die prompte Erledigung“ statt „Happy Birthday“. Da ist so eine Sms doch netter.
    Ich bekomme allerdings manchmal Sms zum Geburtstag von Leuten, die ich nicht kenne. Dabei halte ich meine Erinnerungsfähigkeit in Bezug auf Menschen und Begegnungen für überdurchschnittlich ausgeprägt. Bin ich jetzt eine schlechte Geburtstaghaberin? Oder heißt es einfach nur, dass diese SMSler nicht gemerkt haben, dass ICH seit sieben Jahren diese Nummer habe? Und sie schreiben einfach nur eine engagierte 3.-Rang-Gratulation an meine Handynummervorgängerin, weil sie nicht gemerkt haben, dass diese ihnen ihre neue Handynummer verheimlicht hat?

    • Um solche Gratulanten falscher Nummern los zu werden ist die einfachste Antwort immer noch: „Oh… das tut mir leid. Habt ihr noch nicht gehört, dass… Gott, das tut mir so leid, dass ihr es so erfahren müsst. Mein aufrichtiges Beileid.“
      Der Schock der Betroffenen ist jedes einzelne Zeichen auf T9 wert.

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